Sara heiratet.
Who's Sara? Angefangen als Praktikantin und Aushilfe wurde sie zu einer Art Seelenverwandten. Wir kannten jedes noch so kleine Geheimnis von einander und haben uns nie etwas verschwiegen. Der Altersunterschied und die Lebensumstände waren irrelevant. Ich habe Sara bei der Schule geholfen, ihr meine Meinung zu ihren Problemen gegeben und umgekehrt war Sie immer da für meine Probleme und hat mir ernsthaft bei meinen Entscheidungen ihren Rat gegeben. Sara wurde meine Auszubildende, Sekretärin und Beraterin. Als klar war, dass sie zu Marko gehen wird, war ich geknickt. Ich vermisse die Einkaufstouren, die Frühstücke beim Eiffler, ihr ansteckendes Lachen, die Details aus der Grossfamilie und sogar ihre manchmal unfassbar schlechte Laune.
Ein ganzes Jahr ist sie nun schon fort. Ich habe sie seitdem nicht mehr gesehen. Sie hat die alte Heimat komplett hinter sich gelassen, und ich kann ihre Entscheidung nachvollziehen. Wir telefonieren und chatten oft, aber sie fehlt einfach.
Jetzt ist Sie also. Die Hochzeit in ihrem Heimatdorf in Serbien. In einem Dorf 30 km nordwestlich von Negotin in den Bergen in Jabukovac
Die Feier
dauerte 2 Tage. Ähnlich wie bei uns startete es mit einem Polterabend (nur größer) und am Sonntag ist die Hochzeit. Früher gingen die Feiern wohl vier Tage lang. Aber keiner hat mehr so viel Urlaub
Zum Polterabend kamen die Freunde und die Nachbarn, aber auch die Hochzeitsgäste. Es wurde getrunken, gesungen, gelacht, und man bekam einen ersten Eindruck wie lange eine Musikkapelle am Stück spielen kann. Der Serbische Reigentanz ‚Kolo‘ wurde in Dauerschleife getanzt, bis keiner mehr stehen konnte. Anschließend wurde zusammen gegessen (keine Schmalzbrote, sondern ein Menu) und immer unaufhaltsam getanzt.
Der erste Abend ging laaaang und nach der Fahrt zurück in die Stadt (schotterpiste) bin ich erschöpft eingeschlafen.
Aber nur kurz. Denn dann wird alles vorbereitet für die große Feier mit 'Choreo'.
Am Sonntag wurde die Braut in ihrem Elternhaus vom Bräutigam abgeholt, im Anhang waren die Musikkapelle und die Gäste des Zukünftigen. Dazu mussten in einer Art Schauspiel Verhandlungen geführt werden, ein Apfel abgeschossen werden und der Preis für die Braut verhandelt werden. Als man sich über den Preis einig war ging es nach ein paar Snacks und Schnäpsen weiter im Reigentanz zur Kirche. Ich erspare der Leserschaft die Details der russisch orthodoxen Lithurgie. Aber alles in allem ist die Zeremonie viel lockerer als bei uns. Zwischendurch wird schon mal ein Glas Wasser getrunken.
Nach der Trauung (außer mir hat niemand geflennt 🥲) ging es zum Haus der Familie des Bräutigams (richtig: tanzend)
Eine Tortur für die frischen Eheleute. In voller Montur bei 36 grad duch die Strassen zu hüpfen war schon mörderisch. Aber no pain no gain. Angekommen wurde die Braut von Ihrer Schwiegermutter ins Haus aufgenommen und vom Bräutigam über die Schwelle getragen.
Die Hochzeitsfeier fand mitten im Dorf in einem riesigen frisch renovierten Saal statt.
Alle (!) Verwandten sind dazu eingeladen. 340 sind dem Aufruf gefolgt und es wurde getanzt, getanzt, getanzt, gegessen und gefeiert. Und getanzt. Nach dem vier gänge Menü gabt es klassisch die Torte. Hier habe ich ein wenig geschummelt und bin mit einem Hochzeitsgast zu seiner Angelhütte an der Donau (die Schotterstrecke hin und zurück), um die Ohren von viel zu lauten übersteuerten slawischen-rumänischen Klängen zu erholen. Und ich hätte eh kein Gramm mehr essen können. Nach der Rückkehr war ich entsetzt, dass der Saal leer war. Kapelle weg. Gäste weg. Um halb neun soll die Hochzeit vorbei sein?
Die Braut war noch da. Endlich eine Gelegenheit zu reden.
Spoiler: die Hochzeit war natürlich noch nicht rum, sie wurde auf den Fussballfeld grossen Dorfplatz verlegt. Die anderen Gäste hatten nur schon dort auf die Braut gewartet. Was dann kam ist rekordverdächrig. Die Balkan Kombo hat 2 1/2 Stunden ohne Unterbrechung Volksweisen gespielt. Wie in einer Endlosschleife wurden die Lieder aneinander gereiht und die Hochzeitgesellschaft hat dazu den Kolo getanzt, immer um den Platz herum.
Boris (der Mann der Großcousine der Braut) war für mich ein geduldiger Lehrer, so dass ich mich einreihen konnte und mitgetanzt habe. Bei immernoch 34 Grad extrem schweißtreibend. Damit niemand umkippt wurde permanent Wasser, Limo und Bier verteilt. 3-4 Liter Flüssigkeit müssen wieder mit Pivo aufgefüllt werden.
Der ganze Ort schaute sich das Schauspiel an.
Sara hat nochmal die Klamotten gewechselt und das schwere Brautkleid abgelegt.
Wieder zurück im Saal gab es nochmal was zu essen. Wieder Fleisch.
Bergeweise Fleisch. Und dann wurde…. ratet…. wieder getanzt. Ein Grossteil der Hochzeitsgesellschaft ist nach dem zweiten Essen gegangen. Es wurde sehr viel gemütlicher im Saal
Ich tanzte mit dem harten Kern weiter, bis um halb vier die Großeltern der Braut nach Hause wollten.
Mit viel Adrenalin habe ich ganz gut bis dahin durchgehalten. Die Schotterpiste zurück in die Stadt ist um diese Uhrzeit eine echte Herausforderung.
Die Ohren bimmelten von der kreischenden Anlage noch am nächsten morgen.
Was für ein rauschendes Fest. Viel Folklore viele liebe Menschen, viele neue Freunde
Aber wie fühlt sich der echte Balkan nun an, abseits der grossen Stadt?
Die Ankunft am Nikola Tesla Aerodrom war nicht wirklich überraschend. Ein mit Frankfurt verglichen winziger Flughafen der gerade einer riesigen Baustelle gleicht. Die Großeltern der Braut Gordana und Aleksandar holten mich ab und wir fuhren die 300 km nach Negotin mit ein paar Umwegen. An der Donau führt eine wunderschöne neu ausgebaute Staße entlang, die wir zum Sightseeing nutzten. wir besichtigten Golubac, eine spätmittelalterliche Festungsanlage, die wichtig war für die Verteidigung gegen die Ottomanen. Eine bombastische Burg direkt an den Fels an der Donau gebaut. Das andere Ufer gehört schon zu Rumänien. Kleines Detail: die Muttersprache der älteren Bevölkerung ist Rumänich-Walachisch, nicht Serbisch. Aleksandar erzählte, dass er Serbisch erst in der Schule gelernt hat.
Jetzt der erste Kulturschock: von der Donau aus ging es ein wenig durch die Berge nach Negotin. Durch ein Tal in dem Holzkohle auf traditionelle Weise produziert wird. Hölle was ein Qualm. Ich kenne die Meileraufbauten nur aus dem Museum, aber hier leben die Menschen davon.
Mir wurde erklärt, warum ein Teil der Häuser bombastisch ist, während die andere Hälfte Ruinen gleicht. Gastarbeiter haben viel Geld in die Häuser in der Heimat gesteckt. Kleiner Nachteil: die meisten Prunkbauten stehen 11 Monate im Jahr leer. Überspitzt gesagt werden nur die Ruinen bewohnt. Auch stehen viele industrielle Bauten und Läden leer und sind zerfallen. Niemand reisst sie ab oder baut irgendwas Neues auf. Es verfällt einfach. Ein nicht weg zu diskutierender Teil des Landes ist verrottet. Schwer zu datieren wann alles den Bach runter ging. Die Gebäude stammen aus den 70er 80er Jahren schätze ich. Wenn ein Großteil der arbeitsfähigen Bevölkerung das Land verläßt, um in der Ferne sien Glück zu versuchen, bleibt unter Umständen nicht mehr viel Produktiv- und Konsumkraft übrig.
Überall auf den Staßen laufen herrenlose Hunde und Katzen. Viele verletzt, mit Regelmäßigkeit liegen auch Kadaver am Straßenrand. Niemand räumt sie weg. Aber wenn man abends draussen alleine unterwegs ist, hat man schon Schiss vor den Schakalen und Straßenhunden.
Was wirklich zählt ist aber die Famile. Über Cousinen und Onkel und Tanten und weiter entfernte Verwandte wird alles berichtet und ausgetauscht. Die Hochzeiten, und Taufen sind ein willkommener Anlass alle mal wieder zu sehen.
Was fällt noch auf?
Die Todesanzeigen werden nicht in der Zeitung veröffentlicht, sondern an Strommasten und Laternen befestigt.
Es gibt unheimlich viele Kreuze und Gedenkstätten an den Straßenrändern. Von der kleinen Tafel die an einen tödlichen Unfall erinnert bis hin zum Mausoleum findet man Alles.
Wenn nicht gerade ein großes Fest ist, geht der Mann von Heute übrigens Oberkörperfrei. Bloß kein Gramm zuviel Stoff tragen!
Es weden jede Menge Sonnenblumen angebaut. Vergleichbar mit den Rapsfeldern bei uns. Kilometerlang Sonnenblumen
Ich hatte oben schon die Staßenzustände erwähnt. Abseits der Autobahn und der großen Landstraßen kann man richtig marode Strassen sehen. Stoßdämpferkiller. Die Fahrt von Negotin nach Jabukovac, dem Ort in dem die Hochzeit statt fand, ist einen eigenen Blogeintrag wert.
Am letzten Tag meines Kurztripps fuhren wir nochmal nach Slatina zu Aleksandars Schwester. Traumhaft schöne Gegend mit viel unberührter Natur. Das Grundstück liegt direkt an der Donau neben einem alten Grenzturm. Der Enkel von Draga machte mit mir einen kleinen Abenteuerausflug durch das verwilderte Gelände, um eine bessere Aussicht vom Turm aus zu bekommen. Er und seine große Schwester sind richtig clevere Kerlchen, danke für das Abenteuer !
Das wars. Mein Ausflug nach Serbien endet heute nach 4 Tagen. Ich sitze im Flieger nach Hause, habe mit ein bischen Glück den letzten freien Platz im Flieger ergattert (neben John Malkovic, no joke).
Vielen Dank für die Gastfreundlichkeit mit der ich von allen begrüßt wurde. Ich weiss, dass ihr mich nicht zum letzten Mal gesehen habt. Es gibt noch so viel mehr zu sehen und zu entdecken. Ich freue mich riesig auf den nächsten Besuch.
Danke an Aleksander und Gordana für Fahrt und Obdach. Danke an Sara und Marko für die Einladung und die Feier. Danke an Boris für den Tanzunterricht. Danke an Nina, Anna, Svetlana, Svetlana und Srgan, Boban, Bojan, Bosan, Maia, Mara, Medan und an die vielen anderen lieben Menschen die mir das Gefühl gegeben haben dazu zu gehören.
Es war grandios - man muss sich auf Dinge einlassen um Spass zu haben und den hatte ich definitiv. Dieser Trip war einer der wenigen ganz speziellen Momente im Leben.
Ach so: an den Faibles für Kaltweißes Licht werde ich mich nie gewöhnen.
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